Die DNA des Hundes erstmals vollständig entschlüsselt 

Vor einiger Zeit hat sich eine große Anzahl Wissenschaftler aus aller Welt zu einem Forschungsprojekt mit dem Namen "Dog Genome Sequencing Consortium" zusammengeschlossen. Die Forscher hatten es sich zur Aufgabe gemacht, das Genom des Haushundes, das sind die Chromosomen und die in ihnen lokalisierten Gene (etwa 20 000) zu entschlüsseln. Der Fachausdruck für diese Analyse lautet "sequenzieren", worunter das Ablesen der Basensequenzen (Nukleotiden) der DNA verstanden wird. Insgesamt mußten 2,41 Milliarden individuelle Sequenzen gelesen, mittels spezieller Software verglichen und in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden. Geleitet wurde dieses Projekt vom renommierten Broad Institute of MIT and Harvard (kurz "Broad" genannt) in Cambridge, Massachusetts (USA). Anfang Dezember 2005 war es dann soweit: in der Zeitschrift Nature [1] wurde die erste vollständige Dekodierung der DNA des Hundes publiziert.

Genom

Von den vielen neuen Erkenntnissen dieses anspruchsvollen Projekts wollen wir an dieser Stelle nur drei herausgreifen, die auch für den Laien unmittelbar verständlich sind. Sie betreffen

– die Evolution des Hundes
– die Identifizierung von krankheitsauslösenden Genen
– "alte" Rassen im Gegensatz zu "modernen" Rassen

Die Evolution des Hundes

Zusammen mit den Erkenntnissen früherer molekularbiologischer Untersuchungen kann man jetzt dank der neuen Broad-Studie mit ziemlicher Sicherheit sagen, wie die Evolution des Hundes verlaufen ist. Demnach ist der wilde Stammvater des Hundes der Grauwolf, der zur großen Gruppe von Säugetieren gehört, die man als Carnivoren ("Fleischfresser") bezeichnet. Vor ungefähr 40 Millionen Jahren entwickelte sich aus dieser Gruppe eine Familie hunde-ähnlicher Raubtiere (Caniden), aus denen sich wiederum vor etwa 15 Millionen Jahren Füchse, Wölfe, Schakale und andere Tiere entwickelten. Der engste Verwandte des Grauwolfs ist der Kojote, gefolgt vom Gold-Schakal, Äthiopischen Wolf, Asiatischen Wildhund (Dhoul) und Afrikanischen Wildhund (Hyänenhund).

Die phylogenetisch nächsten Verwandten des Hundes (Canis familiaris)
Grauwolf (Canis lupus) Kojote (Canis latrans) Gold-Schakal (Canis aureus)
 
Äthiopischer Wolf (Canis simensis) Asiatischer Wildhund (Dhoul)
(Cuon alpinus)
Afrikanischer Wildhund
(Lycaon pictus)

Mindestens vor 15 000 Jahren (möglicherweise schon früher) begann die Domestikation einzelner Wölfe und es entwickelte sich der Haushund. Sein Ursprungsort ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Südost-Asien. In Begleitung des Menschen besiedelte der Haushund über die Beringstraße auch die Neue Welt, das heißt, daß auch die Hunde Amerikas Nachkommen des Haushundes sind und nicht eigenen Ursprungs, wie man eine Zeit lang glaubte.

Die Studie der Broad-Forscher weist ferner nach, daß es in der Entwicklungsgeschichte des Hundes zweimal zu einem Populationsengpaß, einem sog. "bottleneck" ("Flaschenhals"), gekommen ist. Eine solche Situation gab es in der frühen Phase der Domestikation vor etwa 9000 Generationen und ein weiteres Mal bei der Züchtung verschiedener moderner Rassen vor etwa 50-100 Generationen, d.h. ungefähr im 18./19. Jahrhundert. In beiden Fällen standen nur noch wenige Individuen zur Verfügung, so daß es bei der Fortpflanzung verstärkt zu Inzucht ("inbreeding") kommen mußte. Des weiteren wurde der Genpool mancher Rassen auch durch äußere Einflüsse wie Seuchen und Kriege verringert.

Eine Folge dieser Bottleneck-Phasen ist eine bis heute nachweisbare "Verfestigung" der Gen-Struktur inklusive von Erbkrankheiten, da sozusagen "frisches Blut" fehlte. Ein typisches Beispiel für eine heutige Rasse mit Bottleneck-Charakter ist der Akita Inu, der von den Broad-Forschern zu diesem Zweck gleichfalls analysiert wurde.

Die Identifizierung von krankheitsauslösenden Genen

Es sind mehrere hundert Erbkrankheiten bekannt, die beim Menschen und beim Hund gemeinsam auftreten. Zu den häufigsten gemeinsamen Krankheiten gehören Krebs, Epilepsie, Allergien, Immunschwäche-Krankheiten (z.B. Hautkrankheiten wie Sebaceous Adenitis – seit kurzem beim Akita verbreitet), Blindheit, Taubheit, Grauer Star (Katarakt) und Herzkrankheiten.

Neben diesen bei Mensch und Hund weitverbreiteten Erbkrankheiten gibt es auch weniger häufige Krankheiten, die nur bei einzelnen Rassen in Erscheinung getreten sind. So ist ein bestimmter erblicher Nierenkrebs bisher nur beim Deutschen Schäferhund aufgetreten. Auch die tödliche Speicherkrankheit Gangliosidose ist bisher außer beim Shiba nur bei 7 weiteren Rassen bekannt.

Begünstigt wurden Erbkrankheiten beim Hund außer durch die erwähnten Bottleneck-Situationen durch Zuchtregulationen ("Standards") wie zum Beispiel das "Reinrassigkeitsgebot" (erstmals im 19. Jahrhundert formuliert als "Breed Barrier Rule"). Der Preis für die Vielfalt der modernen Rassen durch selektives Züchten ist die Konservierung bestimmter Erbmerkmale, durch die auch negative Anlagen und Mutationen tradiert werden. Im Extremfall wird sogar ein Erbfehler zur Norm erhoben, zum Beispiel die Haarlosigkeit bei den Nackthunden.

Die Erforschung und Identifizierung von Gendefekten, die Mensch und Hund gemeinsam haben, war das eigentliche Ziel des Broad-Projekts. Schon jetzt gibt es eine Reihe von sog. Genkarten ("gene maps"), in denen bekannte Krankheitsgene bei Hunden verzeichnet und klassifiziert sind. Daneben gibt es an der Universität von Cambridge in England ein Projekt mit Namen IDID (Inherited Diseases In Dogs), in dem viele Erbkrankheiten samt Fachliteratur verzeichnet sind. [2] Dieses Projekt ist über das Internet jedermann zugänglich, man kann über die Namen der Krankheiten oder der Rassen gezielt nach Informationen suchen.

Die Erforschung von Erbkrankheiten beim Hund dient sehr oft als Modell für die Erforschung derselben Krankheit beim Menschen. Die Wissenschaftler des Broad-Projekts sind zuversichtlich, daß auf der Grundlage der jetzt dekodierten DNA bald weitere Studien mit neuen Erkenntnissen veröffentlicht werden. Damit wird die Diagnose und Therapie erhebliche Fortschritte machen und es können verbesserte Zuchtprogramme ausgearbeitet werden.

"Alte" Rassen im Gegensatz zu "modernen" Rassen

Hündin Tasha Die Wissenschaftler des Broad-Projekts arbeiteten eng mit dem American Kennel Club (AKC) und vielen Züchtervereinigungen zusammen. Eine wichtige Frage war, welchen Vertreter der über 400 Rassen man für die Untersuchung auswählte. Gesucht wurde eine Rasse, von der man annehmen konnte, daß ihre genetische Struktur besonders homogen, mit möglichst wenig Mutationen versehen sei. Dies konnte nur eine relativ "moderne", in hohem Maße durch Inzucht geprägte Rasse sein. Nach der Analyse von 60 verschiedenen Rassen fiel die Wahl schließlich auf die Boxer-Hündin Tasha (siehe Bild). Zur Kontrolle wurden ferner mehr als 30 weitere Rassen, ein Kojote sowie vier verschiedene Wolfspopulationen herangezogen.

Der Shiba war nie ein Kandidat für die Genom-Analyse – und dies aus gutem Grund. Parallel zum dem Broad-Projekt wurde eine weitere große Untersuchung durchgeführt, an der auch Forscher des Broad-Projekts mitarbeiteten. In dieser Studie wurden 414 Hunde aus 85 Rassen untersucht, um die genetische Verwandtschaft unter den Rassen und die genetische Nähe zum Grauwolf, dem Stammvater des Hundes, zu ermitteln. [3] Die Forscher fanden heraus, daß sich die Rassen in vier Gruppen ("clusters") aufteilen lassen, drei "moderne" und eine "alte" Rassegruppe. Nur diese "alte" Gruppe weist eine signifikante genetische Nähe zum Wolf auf, während alle Rassen der drei "modernen" Gruppen in dieser Hinsicht keine Rolle spielen.

Die "alte" Gruppe umfaßt nur 9 verschiedene Rassen aus ganz unterschiedlichen Erdteilen. Die größte genetische Nähe zum Wolf wiesen in dieser Gruppe der Shar-Pei, der Basenji und der Shiba Inu auf. In der folgenden Zeichnung ist der ganze Zusammenhang graphisch dargestellt:

Der Shiba ist einer der genetisch engsten Verwandten des Wolfs – man darf sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild, dem Phänotyp, täuschen lassen. Daher war der Shiba für das Broad-Projekt, in dem ein moderner Hund gesucht wurde, nicht geeignet. Der Shiba Inu und – wie wir dank japanischer Forschungen wissen – auch der Hokkaido Ken [4] gehört zu den wenigen wirklich ursprünglichen Hunderassen.

[1] Kerstin Lindblad-Toh, Claire M. Wade et al.: Genome sequence, comparative analysis and haplotype structure of the domestic dog, Nature 438, December 2005, pp. 803-819.
[2] Sargan, D. R.: IDID: inherited diseases in dogs: web-based information for canine inherited disease genetics, Mammalian Genome 15 (2004), pp. 503-506.
[3] Heidi G. Parker, Lisa V. Kim et al.: Genetic Structure of the Purebred Domestic Dog, Science 304 (2004), pp. 1160-1164.
[4] Yuichi Tanabe: Phylogenetic studies on the Japanese dogs, with emphasis on migration routes of the dogs, in: Japanese as a Member of the Asian and Pacific Populations, ed. Kazuro Hanihara, Kyoto 1992, pp. 160-173.

© Holger Funk 2006

Übersetzt und nachgedruckt in Shiba Sanomat 1/2007 (Finnland)

top